05.10.2013
Wie immer, wenn ich mit Djiby unterwegs bin, fällt es mir schwer, meine regelmäßigen Blogeinträge durchzuhalten. Das Zusammenleben mit Afrikanern gefällt mir ungemein, es lässt aber vergleichsweise wenig Zeit für das, was wir Europäer als Privatleben bezeichnen. So gut wie alle Aktivitäten im Zusammenleben werden gemeinsam durchgeführt, man ist auch nicht so oft für sich, wie man es gewohnt ist. Ich brauche immer mehrere Tage, bis ich (zum x-ten Mal) bemerke, dass eigentlich ich selbst es bin, der sich (zum Beispiel) am Schreiben hindert. Dann wird es leichter und ich mache das, was meine afrikanischen Freunde auch tun, nämlich sich nicht stören zu lassen von der Anwesenheit anderer und einfach das machen, was gerade anliegt. Ich beobachte also bei mir selbst immer wieder eine Kulturverwirrung, und das, obwohl ich zum Beispiel mit Djiby ja gut befreundet bin und - wie man hier feststellt - mich bemühe, über kulturelle Unterschiede nachzudenken. In Indien ist der Drang zum Zusammensein noch viel stärker als in Afrika; allein zu sein ist dort fast eine Schande, auf jeden Fall ein bedauernswerter Zustand. Ein jeder Inder aber hat die Fähigkeit, seine eigene Privatsphäre um sich herum aufzubauen und kann selbst in einer Menschenmenge im Handumdrehen vollkommen in sich selbst versinken und sich gleichsam an einen persönlichen Ort zurückziehen, an dem er seinen Überlegungen nachgeht. Auch das ist etwas, das ich mir bei Aufenthalten in Indien mühselig angeeignet habe und jedesmal neu erarbeiten muss, wenn ich nach längerer Abwesenheit dorthin zurückkehre. In Afrika beobachte ich dagegen des öfteren, dass Afrikaner, die allein sind, in einen Wartezustand verfallen, in dem sie notfalls tagelang verharren können, ein Verhalten, das der große Afrikakenner Richard Kapuczinsky in seinen Büchern treffend schildert. Sicherlich ist dieses Verhalten der afrikanischen Realität geschuldet, in der es überlebensnotwendig ist, möglichst energiesparend und relativ bewegungslos zu verharren, indem man zum Beispiel - wie man immer wieder beobachten kann - klaglos in größter Hitze auf das zu keiner bestimmten Zeit ankommende Transportmittel wartet, oder eine Dürreperiode übersteht. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, dass ich - zum Beispiel - dies hier gerade schreibe, und ab und zu Djiby hereinkommt, mich etwas fragt oder einfach nur sich hinsetzt und seine Facebook - Seite pflegt, während ich weiterschreibe. In Deutschland würde ich mich verpflichtet fühlen, meine Arbeit zur Seite zu legen, um mich mit dem "Gast" zu beschäftigen, hier ist das nicht nötig und wird nicht als unangenehm empfunden, im Gegenteil. Dies ist ein Aspekt der afrikanischen Gesellschaft, den ich - nach der Eingewöhnungszeit - als angenehm empfinde und den ich als "zivil" bezeichnen möchte. Ein weiteres Beispiel: Durch die orale Kultur fast aller afrikanischen Gesellschaften bedingt, gibt es in vielen Städten und Dörfern Afrikas kaum Straßenschilder. Wenn man also eine Adresse oder überhaupt irgend etwas finden möchte, muss man jemanden fragen, und zwar ständig und unentwegt. Da dies aber jedermann tun muss, unabhängig von Stand oder Besitz, hat sich - zumindest in meinen Augen - eben diese "Zivilität" entwickelt, die es möglich und alltäglich macht, ständig sich anderen gegenüber in eine "Schuld" zu setzen, die als selbstverständlich empfangen und zurückgegeben wird. Natürlich bleiben die enormen materiellen und rechtlichen Unterschiede und Ungerechtigkeiten innerhalb der afrikanischen Gesellschaft bestehen, welche Ursache vieler Probleme in diesem Kontinent sind und sich auf zum Teil grausame Weise zeigen. Und doch empfinde ich es als wunderbar, dass ich auf jeden zugehen kann, ihn ansprechen kann und ganz selbstverständlich mich auf seine Hilfe verlassen kann. Das, leider, ist in meiner Heimat längst nicht alltäglich! Dies habe ich schon des öfteren erlebt, wenn ich beseelt aus Afrika oder Indonesien kam und voll der Erleuchtung mich eines ähnlichen Verhaltens befleißigte. "Wat will der Idiot" war noch eine der harmloseren Reaktionen darauf und hat mich dann schnell wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich liebe meine Heimat, wohlgemerkt, bin stolz auf die sozialen Errungenschaften, die wir uns erkämpft haben und lasse das im Ausland bei jeder passenden Gelegenheit auch durchklingen. Aber in Punkto zwischenmenschlicher Beziehungen, Freunde, da können wir noch von den Afrikanern und anderen Drittweltbewohnern lernen!